Es war das Jahr des Kriegsausbruchs. Hitlers Deutschland überfiel 1939 seinen Nachbarn Polen.
Der zweite Weltkrieg begann.
Meine Eltern hatten geheiratet. Schließlich war ich unterwegs. Im Osten Berlins, im
Bezirk Lichtenberg, hatten sie eine Wohnung in der Fanninger Straße gefunden.
Im Januar 1940 war es so soweit. Ich erblickte das Licht der Welt.
Das Virchow-Krankenhaus im Berliner Bezirk Wedding war mein erstes Zuhause
In der Fanninger Straße bin ich dann größer geworden.
Geboren im Januar 1940 kann ich aus eigenem Erleben bzw. eigener Erinnerung bis zu meinem dritten Lebensjahr wenig berichten.
1941 war auch meine Schwester Sigrid geboren worden. Von der ich wenig mitbekam und ich mich aus dieser Zeit
auch nicht an sie erinnere.
Mein Vater war, wie die meisten jungen Männer, zum Wehrdienst eingezogen worden. Aber es gab ja 'Fronturlaub'.
An den Fronturlaub 1943 meines Vaters kann ich mich deshalb erinnern, weil da für mich 'schreckliche' Dinge passierten :
In der Küche unserer Wohnung stand ein 'wild'fremder Mann. Er entzog mich den schützenden Händen meiner Mutter, hob mich zu sich auf
und ich wurde mit Schwung hoch in die Luft geworfen und landete wieder in den Händen meines Vaters, diesem für mich damals Unbekannten.
Was hatte ich für Ängste ausgestanden ! Schnell war ich wieder in die Geborgenheit der mütterlichen Arme geflohen.
Als die Kriegsfront 1944 näher rückte und erste 'Bomber' mit ihrer tödlichen Fracht Berlin erreichten,
wurde unsere kleine Familie nach Pommern zu entfernten Verwandten evakuiert. Die bewirtschafteten außerhalb von Massow (heutiges Polen)
einen respektablen Bauernhof. Da von diesem Zeitpunkt meine Erinnerungen detaillierter, deutlicher und zusammenhängender sind,
kann ich mich gut an Einzelheiten dieses Bauerngehöfts und der Dinge, die dort geschahen, gut erinnern.
Nach der Flucht vor den heranziehenden russischen Soldaten aus Pommern und dem Kriegsende im Mai 1945 kam auch
mein Vater schon im September des selben Jahres aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft zurück und vervollständigte
von nun an unsere kleine Familie. Es muss Ende 1945 Anfang 1946 gewesen sein, als wir in eine größere Wohnung
in die Bornitzstraße umzogen.
Im Spätsommer 1946 wurde ich in der Grundschule 'Am Röderplatz' eingeschult. Ein Jahr lang musste ich den weiten Weg von der
Bornitzstraße zum Röderplatz laufen (wenn ich mich richtig erinnere brauchte ich eine gute halbe Stunde für diesen Weg).
Bevor ich ab dem nächsten Schuljahr in der 'Schule am Park' eine neue Schulheimat fand. Aber auch das dauerte nicht lange. Ab
kommendem Schuljahr besuchte ich dann die 'Schule am Rathaus'.
Im Herbst '46 war zu ahnen, dass unsere Familie größer werden würde.
Und im Februar 1947 bekamen wir ein Schwesterchen geschenkt. Gisela war geboren.
Obwohl ich, wie schon erwähnt, viele und detaillierte Erinnerungen aus den 'Hungerjahren' habe (angefangen
von der dürftigen Kohlrübensuppe über die merkwürdige Majoransoße, die die Mutter zu den Pellkartoffeln kochte,
bis zu den ewigen Schmalzstullen für die Schule), möchte ich diese Jahre erst mal überspringen;
Hin zum Jahr 1952, als noch ein Geschwisterkind dazu kam (Dagmar)
und wir noch einmal umzogen.
Ganz am östlichen Rand von Berlin hatten die Eltern in einem Zweifamilienhaus eine noch etwas gößere Wohnung gefunden.
Hinzu kam, dass wir dort in Mahlsdorf näher an dem Ort 'Fredersdorf b. Berlin' wohnten. Dort lebten in einem
kleinen Häuschen meine Großeltern, die Eltern meiner Mutter. Mit der S-Bahn war der Ort in 15 Minuten erreichbar
(von den langen Wegstrecken, die wir laufen mussten, abgesehen).
Bei den Großeltern hatte ich viele Tage der Kriegs-und Nachkriegszeit, eben der 'Hungerjahre', verbracht. Ein Ort
der Ruhe und des sich-Wohlfühlens.
In Mahlsdorf beendete ich im Sommer 1954 meine Grundschulzeit. Gott sei Dank fiel mein Abschlußzeugnis
positiv gut aus. Das belohnten meine Eltern mit meinem ersten eigenen Fahrrad. Das auf vielen Radtouren mein treuer
(Draht-)Esel wurde.
Meinem beruflichen Traum, Chemie zu studieren, Chemiker zu werden, stand mir aber meine pubertäre schulische Faulheit im Wege:
Innerhalb meines zweijährigen Besuchs der 'Oberschule I' in Lichtenberg waren meine schulischen Leistungen rapide in
den Keller gegangen. Mein Vater zog die Reissleine und ich musste mir einen Ausbildungsplatz suchen. Bevor ich der Schulzeit
endgültig den Rücken kehrte, fand ich einen Ferienjob in einer Gärtnerei. Das dort verdiente Geld investierte ich in eine bessere
Kamera, eine Balgenkamera mit Tessar-Objektiv aus Jena. Bis zum Beginn der
Lehrzeit am ersten September 1956 nutzte ich die restliche Ferienzeit, schnappte mir Fahrrad und Kamera,
besorgte mir einen Ersatzpass bei unserer Volkspolizei-Dienststelle in Mahlsdorf (ja, das ging !!) und radelte gen Westen
bis Mannheim, wo Onkel und Tante lebten - und ich radelte natürlich auch zurück. Was sicher nicht alle taten, die 'Westluft'
geschnuppert hatten. Und nach 1957 war mit der großen Freiheit wieder Schluss.
Der Aufmarsch am 1.Mai 1957 auf dem Marx-Engels-Platz der Mitarbeiter der Ostberliner Betriebe wird mir immer
im Gedächtnis bleiben. Nicht wegen des Vorbeimarsches an der Tribüne mit Ulbricht und Genossen. Nein ! Im Gewühle der tausende
von Menschen auf dem riesigen Platz suchte und fand mich mein Vater, um mir zu sagen, dass wir nun sieben Familienmitglieder waren.
Meine Mutter hatte ihre Tochter Elke zur Welt gebracht.
Lehrjahre
Beim 'Entwurfsbüro für Industriebahnbau', später 'VEB Industrie- und Industriebahnprojektierung',
machte ich eine dreijährige Lehre zum 'Vermessungsfacharbeiter'. Es war im Sommer 1959
als mit praktischer und theoretischer Prüfung meine Lehrzeit endete.
Es war mein fester Wunsch, wenn ich schon nicht Doktor der Chemie (Jugendtraum) werden konnte,
dann aber wollte ich wenigstens Ingenieur
werden. Weil die ehemaligen Mit-Lehrlinge Werner und Dieter bereits einen Studienplatz zum Bau-Ingenieur hatten, zogen Horst
und ich nach. Als Bauingenieure rechneten wir uns mehr und interessantere Chancen aus als im Bereich der Vermessung. Dass es
in der Grundstücks-Vermessung nicht mehr viel zu tun gab, hatten wir bei unserem Praktikum im Katasteramt erlebt (Horst in
Königs Wusterhausen, ich in Alt Landsberg). Schließlich gab es im Sozialismus kein Eigentum an Grund und Boden ! Aber : Nur
Rumsitzen war nicht unser Ding! Wir hatten uns auch schon eine Ingenieurschule ausgeguckt: Zittau, ganz im Südosten der DDR
(wenn man denn schon nicht ins Ausland reisen konnte ....). Für unsere Wunsch-Schule mussten wir allerdings von unserem Arbeitgeber
'delegiert' werden. Um dem etwas positiv nachzuhelfen, besuchten wir brav jeden Montag-Morgen den sozialistischen
Zirkel , damit unsere sozialistische Gesinnung gefestigt werde. Außerdem durfte ich als FDJ-Funktionär für Agitation
und Propaganda die Betriebs-Wandzeitung (Vorläufer einer Website) gestalten.
Inzwischen verschärfte aber auch die Parteiführung der SED ihren Kurs, hin zu mehr Sozialismus in der DDR. Der kleine
landwirtschftliche Betrieb meines Onkels sollte, wie alle anderen Bauernhöfe, zwangskollektiviert werden. Mein Vater, als
Russischlehrer an einer Berliner Schule, sollte überzeugt werden, dass er schließlich nur als ein Parteimitglied der SED den
Schülern ein glaubwürdiges Vorbild für die künftige Generation sein würde. Beide, Onkel und Vater, überdachten ihre jeweilige
Situation und entschieden sich, wie viele Andere in diesen Wochen und Monaten auch, diesem Drängen nicht zu folgen. Und
noch funktionierte der Ausweg, noch fuhren S- und U-Bahn von Ost- nach West-Berlin. Und jeden
Tag verkündete der westberliner Sender RIAS übers Radio mehr oder weniger triumphierend, wie viele Menschen sich
am vergangenen Tag in Marienfelde als Flüchtling gemeldet hatten; etwa so, wie anderswo die Wasserstandmeldungen verlesen werden.
Allerdings munkelten die Berliner, dass die Parteiführung gegen diesen Bevölkerungsschwund in der DDR etwas unternehmen würde.
Was nicht unglaubwürdig klang, wenn man miterleben konnte, wie plötzlich ein Kollege oder z.B. unser Leiter der Jugendbrigade
nicht mehr seinen Dienst antrat - und wohl in die 'Fänge der Kapitalisten' geraten war. Während selbiges auch
meinen Eltern und Geschwistern geschah, sie sich in Westberlin in Marienfelde meldeten, zog ich zu meinen Großeltern nach
Fredersdorf. Schließlich wollte ich ja in Zittau studieren. Und meine Aufnahmeprüfung hatte ich gemeinsam mit Horst in Zittau
schon gemacht. Doch der positive Bescheid aus Zittau kam und kam und kam nicht. Was nun ? Eine Nachbarin und Schwester
eines Schulfreundes riet mir im Gespräch, angesichts dieser Situation, den Weg nach Marienfelde zu nehmen. Denn die Fragen
standen im Raum: Würde ich Eltern und Geschwister jemals wiedersehen, wenn ich jetzt in der DDR bliebe ? Würde meine Aufnahme
an die Ingenieurschule überhaupt noch zustande kommen, wenn bekannt würde, dass meine Eltern Republikflüchtlinge
waren ? Kurz, ich benutzte S- und U-Bahn für den Weg nach Marienfelde.
Meine 1960'er Jahre
Damals, am 15. Juli 1960, veränderte sich für mich vieles - ohne dass es mir richtig bewusst wurde.
Als ich mich
Mittags in die U-Bahn setzte und Richtung Westen fuhr, war es eigentlich einfach nur spannend, was nun alles passieren würde.
Noch kürzer : Nach dem Aufenthalt mit Eltern und Schwestern in verschiedenen Aufnahme - und Übergangs-Lagern bekamen meine Eltern
eine Wohnung in Mannheim-Schönau. Ich bekam bereits im August 1960 für die nächsten drei Monate eine Anstellung im
Katasteramt Mannheim. Das war dort aber noch bescheuerter als im Katasteramt Alt Landsberg. Der Wechsel zu BBC fiel mir daher leicht.
In Tiengen, südlicher Schwarzwald, blieb ich ungefähr ein Jahr, bis ein Rechenfehler,der mir bei der Absteckung eines Winkelmastes unterlief,
zum Anlass genommen wurde, mich vor die sprichwörtliche Tür zu setzen. Ein Job bei der Nassauischen Heimstätte in Frankfurt / Main,
nicht als Vermessungstechniker sondern als Messgehilfe, war nicht nach meinem Geschmack. Durch Vermittlung meines Vaters kam ich zu der
damals größten Baufirma Deutschlands, Philipp Holzmann. Die bauten in Arbeitsgemeinschaft die Karlsruher Öl-Raffinerie für DEA-Scholven.
Dort machte ich endlich wieder Vermessungsarbeiten, Absteckungen, Höhenangaben und was sonst noch so anfiel. Ein Arbeitskollege, seines
Zeichens Bau-Ingenieur - auch 'von drüben' - motivierte mich, doch ein Ingenieurstudium zu machen. Zwar war es in Westdeutschland mit
meiner Vorausbildung nicht möglich ein Studium zum Bau-Ingenieur zu machen; da hätte ich Maurer oder Betonbauer sein müssen. Aber
'Vermessung', ja, das war möglich; zum Vermessungsingenieur ! Nach bestandener Aufnahmeprüfung an der Ingenieurschule Frankfurt / Main
besprach ich mein Vorhaben mit dem Niederlassungsleiter von Holzmann in Mannheim. Und wurde für die Zeit des Studiums beurlaubt. Das Angebot,
in den Semesterferien bei Holzmann zu arbeiten, nahm ich gerne und dankend an.
Von 1962 bis 1965 studierte ich in Frankfurt an Main Vermessungskunde. Als 'graduierter' Ingenieur für Vermessungstechnik
verließ ich nach bestandener Prüfung die Ingenieurschule in Frankfurt und ging zurück zur Firma Holzmann. Die bauten gerade, auch wieder
in einer Arge, am Autobahnteilstück der A 6 vom Hockenheimer Dreieck bis zum Walldorfer Kreuz. Nach Fertigstellung dieses Autobahnabschnitts
und dem Ende meiner Arbeit dort, bot mir der Niederlassungsleiter den Posten eines Bauführers an einer Holzmann-eigenen Kiesgrube an. Ich fand
das nicht besonders reizvoll, suchte mir im Frühjahr 1966 bei einem Vermessungsbüro bei Waiblingen einen scheinbar passenderen
Job.
Über einen Besuch bei meinem ehemaligen Messgehilfen aus Tiengen lernte ich seine Schwester kennen. Sie war geschieden, mit einem fünfjährigen
Sohn und wohl auf der Suche. Es dauerte nicht lange und sie wurde schwanger. Von mir. Bis jetzt hatten wir mit in der Wohnung ihrer
Mutter gelebt. Nun musste eine eigene Wohnung her. Es ist gut, wenn man Schwestern hat. Schwester Gisela wurde auf der Suche nach Wohnraum
für meine künftige Familie fündig. Sie wohnte auch gerade in Graben, wo in einem Neubaugebiet der Bauboom ausgebrochen war. Eine
Umsiedlerfamilie aus Polen bot uns in ihrem Neubau im ersten Stockwerk eine Dreizimmerwohnung an. Im Winter 1966/1967 zogen
wir nach Graben, nachdem ich eine neue Arbeitsstelle bei einem Vermessungsbüro in Heidelberg gefunden hatte. Ende März 1967
brachte meine Frau zwei Mädchen zur Welt. Dörthe und Kerstin, zweieiige Zwillinge. Völlig überrascht waren wir nicht. Dass es eine
Zwillingsgeburt werden würde hatten uns die Ärzte schon vorher gesagt.
Mit unserem Vermieter in Graben gab es Ärger. Der mobbte uns raus. Wir zogen Ende 1967 nach Mannheim-Vogelstang,
einem ganz neuen Stadtteil Mannheims. Auch meinen Arbeitgeber wechselte ich erneut. Der hatte interessante Aufgaben für mich.
Den älteren Kollegen gefiel das aber gar nicht. Ihr Neid Auf den 'Neuen' liess kein gutes Arbeitsklima entstehen. Ein Nachbar auf
der Vogelstang arbeitete als Bauleiter bei meiner ehemaligen Firma Holzmann. Der bekniete mich, doch wieder bei Holzmann zu arbeiten.
Da würde für die Baustelle eines Kernkraftwerkes in Philippsburg dringend ein Vermesser gesucht. Ein gutes Gehalt reizte mich ebenfalls,
wieder auf einer Baustelle zu arbeiten. Also wieder Holzmann.
Flensburg und die 70'er Jahre
Hier in Mannheim bot sich meiner damaligen Frau die Möglichkeit, ihr Hobby, den Gesang, weiter zu pflegen, bei einer Gesangslehrerin
der Mannheimer Musikhochschule Neues zu lernen. Schließlich kam noch ein Korrepetitor dazu, den sie regelmäßig besuchte. Aber das alles
reichte ihr nicht. Sie bekam eine Stelle im Extrachor des Mannheimer Nationaltheaters. Und als auch das nicht reichte, nahm sie eine Stelle
im Extrachor des Theaters in Heidelberg an. Das sah dann so aus, dass ich die Kinder abends zu Bett brachte, eine Gute-Nacht-Geschichte vorlas
und mich anschließend auf den Weg zum Theater machte, um meine Frau abzuholen. Abwechselnd nach Mannheim bzw. Heidelberg. Oft war ich etwas
zu früh am Theater, ging dann dort in die Kantine, um rasch noch ein Bier zu trinken, bevor Sänger und Statisten vom Abschminken ebenfalls
in die Kantine kamen. Oft wurde das Zusammensitzen in der Kantine ausgedehnt, die Bedienung in der Kantine überredet, doch noch länger zu
machen. So wurde es manchmal erst nach Mitternacht, bis wir ins heimische Nest zurückfanden. Meiner Erinnerung nach war das überwiegend nach
einer Vorstellung im Heidelberger Theater der Fall. Um diese Prozedur abzukürzen, wartete ich schließlich nur noch draußen im PkW auf meine Frau.
Bis sie mir auf einer dieser Heimfahrten erzählte, dass ein Agent der ZAV Frankfurt (Zentralstelle für Arbeitsvermittlung) sie angesprochen
hätte, ob sie nicht interessiert wäre, eine feste Stelle in einem Opernchor anzunehmen. Wenn ja, könnte sie mit ihm einen Termin zum Vorsingen
in Frankfurt vereinbaren. Womit ich nicht gerechnet hatte : Sie sang vor, bekam vier Vakanzen genannt. Ich fuhr sie zu den genannten Theatern.
Immer in der Hoffnung, das wäre ja nur ein bunter Luftballon, der spätestens nach dem vierten Vorsingen platzen würde. Das letzte Vorsingen,
von Mannheim am weitesten weg, in Flensburg, platzte nicht. Sie bekam einen Vertrag.
Auch meine eigene 'Karriere' verlief ganz anders, als vorhergesehen. Erst später in meinem Leben wurde mir eines klar: Es kommt meistens
ganz anders als man gedacht, gehofft, gewünscht hatte. Die Umstände ändern sich, der Partner, man selber ändert sich - oft, ohne dass es
uns richtig bewusst wird.
Nach einem Unfall auf der Baustelle des Kernkraftwerkes Phillipsburg, den ich erlitten und der mich für ein viertel Jahr ausser
Gefecht gesetzt hatte, wurde ich 1973 auf eine Baustelle in Ludwigshafen versetzt. Jedoch war ich dort nur zweiter Mann;
ein anderer Vermessungsingenieur war schon von Anfang an dort, sollte mir jetzt die Arbeiten übergeben. Dazu kam es jedoch nicht. Denn inzwischen
wusste ich ja schon von den Plänen meiner Frau, bewarb mich also in Flensburg und Umgebung um eine Stelle als Vermessungsingenieur. Obwohl
eine Stelle im öffentlichen Dienst nach den Erfahrungen im Katasteramt Mannheim für mich nicht gerade erstrebenswert war, das Gehalt weit
geringer sein würde als bei Holzmann, entschied ich mich für die ausgeschriebene Stelle beim Landesbauamt Flensburg. Was ich damals noch
nicht wissen konnte, sei hier verraten: Es war eine meiner besten Entscheidungen, die ich je getroffen habe. So zogen wir im
Juli 1974 von Mannheim nach Flensburg.
Schon vor Beginn der Spielzeit 1974/1975 am neu gegründeten Landestheater Schleswig-Holstein war meine Frau nun mehr und
mehr mit Chorproben, Bühnenproben und Korrepetition gut ausgelastet. Als die Spielzeit begonnen hatte, kamen die abendlichen Aufführungen
und Abstecher zu oft weit entfernten Orten in ganz Schleswig-Holstein hinzu. Dass meine Frau immer weniger Zeit für Mann und Familie hatte,
war eine logische Folge. Viel Hausarbeit, auch Erziehung und Betreung der drei Kinder blieb jetzt meine Aufgabe. Oft fühlte ich mich neben
meiner Arbeit im Landesbauamt allein gelassen und auch überfordert.
Ein ganz anderes Problem hatte sich zusätzlich bei mir eingeschlichen. Ohne einige Flaschen Bier am Tag war mein Tag nicht zu machen. Von ein, zwei
abendlichen Bieren waren es mehr und mehr geworden. Genau könnte ich nicht sagen, wann dieser Prozess begonnen hatte. Spätestens nach meinem
Unfall auf der Philipsburger Baustelle und den drei Monaten Zwangspause, sowie allem was danach kam, hatte diesen schleichenden Prozess in
Gang gesetzt und beschleunigt. Die Folge war, dass ich mehr und mehr den Überblick, den persönlichen, familiären und auch finanziellen Überblick
verlor. Das führte zu Streit und ständigen Auseinandersetzungen mit meiner Frau. Ein Streit über den Gebrauch des Familien-Autos eskalierte derart,
dass für meine Frau eine rote Linie, eine Grenze überschritten war. Sie reichte die Scheidung ein. Im März 1977 wurden wir geschieden.
Ich musste mir eine Bruchbude als Wohnung suchen. Wie gesagt, hatte ich keine finanziellen Möglichkeiten mehr. Nee, so ging es nicht ! Soo wollte
ich nicht leben. Auf Bier und andere Alkoholika musste ich verzichten. Also trank ich eines Morgens nur noch Selters, hatte auch vor, konsequent
das in der Zukunft durchzuhalten. Das hielt ich gerademal bis zum Nachmittag durch. Auf der Fahrt in meine Bude bekam ich plötzlich Herzrasen,
Schweißausbruch, Angst und Panik. Ich musste mit meinem PkW rechts ranfahren, anhalten, mich beruhigen - und fuhr dann zum nächsten mir bekannten
Kiosk, holte zwei Flaschen Bier und einen Flachmann. In der Bude angekommen, trank ich zuerst den Flachmann zur Hälfte aus, dann ein Bier hinterher.
Und mir ging es besser; Angst und Panik waren wie weggeblasen. Also soo funktionierte das Aufhören offensichtlich auch nicht !
Ich machte einen Termin bei meinem Hausarzt. Und von dem ging es zum Neurologen und der überwies mich an die Abteilung für spezielle Rehabilitation
im LKH Schleswig. Der dort leitende Arzt machte mir keine schnellen Hoffnungen : Ein halbes Jahr Therapie. Hier ! Im LKH ! Ich könnte mich in den
kommenden zwei Wochen entscheiden. Und ihm dann meine Entscheidung mitteilen. In sechs Wochen ginge es los. Ein halbes Jahr, das kam mir vor wie
ein halbes Leben ! Die zweite der besten meiner Entscheidungen : Ich entschied mich für das halbe Jahr !
Das Jahr nach dem halben Jahr, 1978, war nicht so ganz einfach. In Flensburg lebte ich in einer Einraumwohnung; trotzdem relativ
komfortabel mit separatem Bad und herrlichem Ausblick. Aber die 'Nachwehen' der Scheidung, Streit um's Geld, um die Kinder und der alltägliche
Kleinkram, alles ohne Partner an der Seite, das fiel mir nicht leicht. Eine große Hilfe waren die Kollegen und Kolleginnen im Landesbauamt, der
Amtsleiter und Vorgesetzte. Alle nahmen Rücksicht und unterstützten mich wo es denn möglich war. Sogar aus der Oberfinanzdirektion bekam ich Rückenwind.
Vor allem, wenn es um meine Wünsche um Geräte für die Vermessung ging. Dafür warf ich mich in die Aufgaben, die mir schon bei meinem ersten Gespräch
mit dem damaligen leitenden Regierungsbaudirektor genannt worden waren. Allem voran die Erstellung von Lageplänen der vielen Landes- und
Bundesliegenschaften. Wenn es überhaupt Pläne gab, waren sie veraltet, ungenau und unvollständig. Für eine ordentliche Planung nicht brauchbar.
Und daneben gab es die aktuellen Arbeiten, die nicht aufschiebbar waren; Absteckungen, Bauüberwachung und Trassierung von Verkehrswegen, die
Erdmassenberechnungen für die Kollegen und deren Abrechnungen mussten ebenso erledigt werden. Es gab genug zu tun. Schwierigkeiten machte mir
nur der damalige Leiter des Katasteramtes. Wenn ich Unterlagen, Pläne oder gar Koordinaten haben wollte, dann hieß es erstmal: 'Nur über meine Leiche'.
Er war der Vermessungs-'Papst', der bestimmte was jemand bekam oder einsehen konnte. Ich hatte den Eindruck, er empfand mich als lästige Konkurrenz.
Nun wusste ich aus meiner früheren Tätigkeit, bei der ich auch mit Katasterämtern hatte zusammenarbeiten müssen, dass es durchaus so nicht sein
musste. Ich wusste aber auch, dass es bei der Landesbauverwaltung Schleswig-Holsteins damals noch zwei weitere Vermessungsingenieure gab, die
in Kiel saßen. Mich interessierte, wie die mit 'ihrem' Katasteramt zusammen arbeiteten und vereinbarte telefonisch einen Termin, an dem wir uns
austauschen konnten. Schließlich saßen wir vier, inzwischen war ein weiterer Kollege aus Itzehoe dazu gekommen, im Kieler Landesbauamt zusammen,
um uns unsere Erfahrungen zu berichten. Aus diesem ersten Treffen entstand eine alljährliche Einrichtung des Treffens der Vermesser der Landesbauämter
in Schleswig-Holstein. Die meines Wissens bis heute durchgeführt wird. Auch wenn es jetzt keine Landesbauämter mehr gibt, alle ehemaligen Ämter
unter dem Dach der GMSH (Gebäudemanagment Schleswig-Holstein) vereinigt sind. Diese Einrichtung verdanken wir der damaligen Ministerpräsidentin
Heide Simonis.
Zurück zu dem Leiter des Katasteramtes in Flensburg: Seine störrische Haltung mir und meiner Arbeit gegenüber trug ich dem Leiter des Landesbauamtes
(mein oberster Chef) vor. Der vereinbarte schließlich einen gemeinsamen Besprechungstermin im Katasteramt. Einen Durchbruch brachte das Gespräch zwar
nicht. Oder nicht sofort. Langsam jedoch lockerten sich die strengen Regularien bezüglich der Einsichtnahme in die Daten und Unterlagen des Katasteramtes.
Und bis zur Rente - 2005
Nun kann ich es wieder kurz machen. Ende 1978 bezog ich meine Dreizimmerwohnung, die ich auch durch Vermittlung meines Arbeitgebers
bekommen hatte. Und die ich bis heute gemietet habe. Nach Jahren der Suche nach einer Partnerin lernte ich während eines Weihnachtsurlaubes
1985 eine zwar ältere aber umso erfahrenere und warmherzige Frau kennen und lieben. Lis (als Kurzname für Elisabeth) zog nach gut einem halben
Jahr bei mir ein. Ohne erstmal ihre geerbte Wohnung ganz aufzugeben. Fast zwanzig Jahre lebten wir glücklich und ohne tiefgreifende Unstimmigkeiten
zusammen. Ziemlich einfach : Lis übernahm den Haushalt, ich ging zur Arbeit, unseren gepachteten Kleingarten 'beackerten' wir gemeinsam. Wir machten
gemeinsame Urlaube; auch im eigenen Wohnwagen, den Lis gebraucht gekauft hatte. Ihre Tochter war so auf den Wohnwagen scharf, dass sie Lis riet, doch
nicht mehr mit dem Wohnwagen zu reisen, sondern im Urlaub eine Ferienwohnung zu mieten. Das mit der Ferienwohnung gefiel Lis. Nur den Wohnwagen bekam
nicht die Tochter, mit der sie noch 'ein Hühnchen zu rupfen' hatte, sondern ihr Sohn. Dafür gab Lis mir grünes Licht für den Kauf eines Segelbootes,
dem Traum meiner Jugend. Anfang 2005 war offiziell mein letzter Arbeitstag, ich ging in Rente. Obwohl ich mit Kleingarten und Boot genug 'um die Ohren' hatte,
fehlte mir etwas. War es die Bestätigung, etwas leisten zu können ? Noch für die Gemeinschaft dasein zu können ? Ich weiß es nicht. Die erste Reise,
vor allem lange Reisen, wollte ich im Winter für drei Monate in mein Traumland Spanien machen. Natürlich mit Lis. In einem Ferienhaus. Und habe dabei
wohl übersehen, dass es für Lis schon eine Zumutung sein könnte. Ihren Protest wischte ich weg. Obwohl es Lis gesundheitlich nicht so besonders gut ging.
Ende November 2005 erlitt sie einen leichten Schlaganfall. Ein Krankenhausaufenthalt wurde nötig. Verstorben ist Lis am
6. Dezember. Jedoch nicht als Folge des Schlaganfalls, sondern weil sie im Krankenhaus aus dem Bett gestiegen war, auf dem glatten Linoleum
des Bodens ausgerutscht war und sich beim Fallen einen Oberschenkelhalsbruch zuzog. Die anschließende Operation war zu viel für sie. Die Folgen überlebte
sie nicht. Einen Tag vor Heilig Abend wurde sie auf dem Friedhof in Westerkappeln beigesetzt.
Alles was danach kam - 2006 bis ...
Da der vorgesehene Urlaub in Spanien gebucht und bezahlt war, reiste ich
nach der Beisetzung der Urne in Westerkappeln und dem Weihnachtsfest,
das ich bei meinem Freund Horst und seiner Familie verbracht hatte, mit dem Autozug nach Südfrankreich und von dort weiter ins Ferienhaus in Spanien. Es
lag weit außerhalb eines Ortes, ziemlich einsam an einem Berghang. Nachts lag etwas von atemberaubender Stille im Dunkel, unterbrochen nur selten von den
aus ferner Weite bellenden Hunden. Ohne Lis hielt ich es die eigentlich geplanten drei Monate nicht aus. Nach sechs Wochen fuhr ich im Februar 2006
zurück nach Flensburg. Doch was nun ?
Damals, unsere Reisen mit dem Wohnwagen waren mir noch in bester in Erinnerung, liebte ich die Freiheit dieser Art des Reisens. Das würde ich gerne
wieder erleben. Aber alleine ? Ich würde den Versuch wagen. Und begann bei Händlern nach einem Wohnwagen zu suchen. Unterbrochen wurde meine Suche von
der Arbeit im Garten und, viel schlimmer, für mich überraschend, verstarb mein Vater 96-jährig. Obwohl unsere Beziehung nie von überbordender Herzlichkeit
geprägt war, vermisste ich ihn nun doch. Vor allem so kurz nach dem Tod von Lis. Ich steckte meine Vorhaben bezüglich Wohnwagen erst mal in die Schublade.
Machte meinen Garten nach dem Sommer winterfest. Das lenkte mich ab und gab Sinn.
Knapp ein Jahr nach Lis' Tod machte ich mir Gedanken, wie ich das diesjährige Weihnachtsfest verbringen wollte. Auf jeden Fall weg, Anderes sehen. Wieder
alleine ? Über eine Zeitungsanzeige lernte ich Helga kennen, seit drei Jahren Witwe. Schnell waren wir uns einig, dass wir gemeinsam über Weihnachten
und Sylvester verreisen würden. In Gotha machte ein Hotel für diesen Zeitraum ein viel versprechendes Angebot. So wurden die Feiertage eine gelungene
gemeinsame Auszeit, an die wir uns oft und gerne erinnerten. Wir blieben zusammen und unternahmen in den kommenden Jahren vieles gemeinsam. Der Kauf
eines Wohnwagens stand an erster Stelle. Gemeinsam kauften wir nicht nur den kleinen Wohnwagen sondern auch das nötige Zubehör. Die erste größere Reise
ging im Mai 2007nach Spanien - wohin auch sonst. Sechs Wochen dauerte unsere Reise, viel zu kurz; der Garten wartete auf uns in
Flensburg und wollte bestellt werden.
Für die kommenden Jahre planten wir das ganz anders. Denn eigentlich war Flensburg und Umgebung viel zu schön, um im Sommer ins heiße Spanien zu fahren.
Auch der Garten sollte im Frühjahr und Sommer gepflegt sein. Da blieb nur der Winter. Eigentlich die ideale Jahreszeit für einen längeren Urlaub im
Süden Europas. Also : Sommer in Flensburg, Winter in Spanien bei unserem Lieblings-Spanier Alfredo. Wenn wir mindestens drei Monate auf unserem
Campingplatz bei Castellon blieben, kostete uns eine Übernachtung gerade mal ca. 7 Euro. Vom Winter 2008 / 2009 bis zum Winter 2011 / 2012
lebten wir für mehr als ein viertel Jahr in Spanien. Und kamen so dem Land vom Meer bis ins Gebirge und seinen Menschen näher. Es wurden
unvergessliche Monate.Im Frühjahr 2012 machten sich bei Helga erste deutliche Anzeichen einer dementiellen Veränderung bemerkbar.
Ein Neurologe in Rendsburg bestätigte eine entsprechende Erkrankung. Gegen eine Reise hatte er trotzdem nichts einzuwenden. Bei entsprechender Hilfe
und Unterstützung meinerseits. Allerdings verhinderte ein Arzttermin für Januar 2013 eine Abreise im Spätherbst 2012. Es wurde Anfang
Februar 2013 als wir Richtung Süden aufbrachen. Die total falsche Zeit für eine Reise in Mitteleuropa. Wir blieben im Schnee förmlich stecken und ich
entschied mich, von einem Campingplatz bei Heidelberg aus die Rückfahrt anzutreten. Das folgende halbe Jahr war von dem sich langsam verschlechternden
Zustand Helgas geprägt. Bis es im September 2013 zu einer heftigen Auseinandersetzung mit Helgas Tochter kam. Die schließlich entschied,
Helga in einem Heim unterbringen. Ich durfte daraufhin Helga auch nicht mehr besuchen.
Noch zweimal machte ich die Reise mit dem Wohnwagen nach Spanien, in den Wintern 2013 / 2014 und 2016 / 2017.
Diese Fahrten alleine zu machen, wurde jedoch ziemlich öde und zunehmend beschwerlich. Um dem Leben Sinn zu geben und der Einsamkeit zu entfliehen,
half ich ehrenamtlich in der Flensburger Tafel bei der Ausgabe von Lebensmitteln. Das wurde für anderthalb Jahre eine erfüllende Tätigkeit. Für meinen
weiteren Weg hatte ich zwei Optionen: Entweder noch mal eine Lebensgefährtin zu finden oder wieder in meine Geburtsstadt Berlin zu ziehen. War gespannt,
was sich zuerst ergab. Natürlich ! Die Partnerin schaffte es, mich vom Umzug nach Berlin abzuhalten.
Seit Oktober 2019 bin ich mit einer lieben Mecklenburgerin aus Bützow zusammen und wir machen uns die Rentnerjahre gemeinsam so schön und
interessant wie es sich einrichten lässt. Alles was nun geschieht ist eben Aktuelles.